Adipositas (neue Version)

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Dosisanpassung bei Adipositas

Übergewicht und Adipositas tritt bei Kindern immer häufiger auf. In Deutschland beträgt die Häufigkeit von Übergewicht (einschließlich Adipositas) bei Mädchen und Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren 15,4 %. Die Adipositasprävalenz liegt bei 5,9 %. (1) Neben den gesundheitlichen Folgen wirkt sich Adipositas auf die Pharmakokinetik und -dynamik von Arzneimitteln aus. Wann und wie sollte die Dosis bei der Arzneimitteltherapie bei Kindern über dem Normgewicht angepasst werden? 

Ab wann spricht man von Übergewicht bzw. Adipositas?
Die Definition von Adipositas basiert auf dem Body-Mass-Index (BMI). Dieser wird berechnet, indem das Körpergewicht (kg) durch das Quadrat der Körpergröße (m2) geteilt wird: BMI = Körpergewicht / Körpergröße2 [kg/m2]

Im Gegensatz zu Erwachsenen gibt es bei Kindern und Jugendlichen wachstumsbedingt keine einheitlichen Grenzwerte zur Klassifikation von Übergewicht und Adipositas. Stattdessen erfolgt die Beurteilung alters- und geschlechtsabhängig mittels BMI-Perzentilkurven. Für Deutschland gibt die Arbeitsgemeinschaft „Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft die Perzentilkurven nach Kromeyer-Hauschild an (2-4).

Die BMI-Kategorien werden dort wie folgt definiert:

  • Normalgewicht: BMI-Perzentile 10. – 90.
  • Übergewicht: BMI-Perzentile > 90.
  • Adipositas: BMI-Perzentile > 97.
  • Extreme Adipositas: BMI-Perzentile > 99,5.

Für die monatsgenaue Berechnung der BMI-Perzentile für pädiatrische Patienten und Patientinnen steht zudem der BMI-Rechner der AGA „BMI4Kids Rechner“ zur Verfügung.

Auswirkungen von Übergewicht und Adipositas auf die Pharmakokinetik und -dynamik
Übergewichtige Kinder zeigen eine veränderte Körperzusammensetzung und haben häufig zusätzliche Komorbiditäten. Besonders die beiden pharmakokinetischen Parameter, das Verteilungsvolumen (Vd) – entscheidend für die Initialdosis  – und die Clearance (Cl) – maßgeblich für die Erhaltungsdosis –, werden durch Adipositas beeinflusst. (5)

Für lipophile Arzneistoffe (z.B. Fentanyl) ist das Vd bei übergewichtigen Kindern i.d.R. aufgrund des größeren Fettanteils erhöht. Für hydrophile Arzneistoffe kann das Vd sowohl erhöht als auch erniedrigt sein aufgrund eines erhöhten Blutvolumens und einem verringerten Körperwasseranteil (6).

Des Weiteren kann die hepatische Clearance aufgrund von Leberverfettung verringert sein, während für die renale Clearance eine erhöhte GFR aufgrund einer erhöhten Nierengröße diskutiert wird. Dies hat Einfluss auf die Initialdosis, Dosierungsintervalle, Halbwertszeiten und die Zeit bis zum Erreichen des Steady State (7). Komorbiditäten wie chronische Entzündungen oder Diabetes können die Wirksamkeit von Arzneimitteln verringern. Eine Zusammenfassung pharmakokinetischer/-dynamischer Änderungen bei übergewichtigen Kindern gibt Xiong et al. 2017 (8). Da in der Pädiatrie Arzneimittel hauptsächlich nach mg/kg dosiert werden, haben übergewichtige Kinder sowohl ein erhöhtes Risiko für toxische als auch unwirksame Dosierungen.(9)

Gewichtsdeskriptoren 
Neben der Messung des tatsächlichen Körpergewichts (TBW) werden weitere Gewichtsdeskriptoren zur Bestimmung einer adäquaten Dosis bei übergewichtigen/adipösen Kindern verwendet. Es gelten folgende Definitionen (5, 8):

Abkürzung Gewichtsdeskriptor Berechnung Anwendung
TBW Tatsächliches Körpergewicht („total body weight“) - - nicht für lipophile Wirkstoffe
LBW Fettfreie Masse („lean body weight”) LBW (Kind)= 0,0817 x TBW (kg)0.6469 x Größe (cm)0.7236 -
IBW Ideales Körpergewicht (“ideal body weight“) IBW = 50. Perzentile Gewicht (für das entsprechende Alter des Kindes) x Größe (cm)
(Definition gemäß Gaeta et al 2022)
- für hydrophile Wirkstoffe, Biologika
- zur Bestimmung der Erhaltungsdosis
- z.B. Aciclovir, Digoxin, Morphin
ABW Angepasstes Körpergewicht („adjusted body weight“) ABW = IBW + Faktor x (TBW – IBW) - für lipophile Wirkstoffe mit teilweiser Fettverteilung
BSA Körperoberfläche („body surface area“) BSA = (TBW (kg) x Größe (cm)) / 3600 - für Onkologika

Dosisanpassungen bei übergewichtigen/adipösen Kindern
Angesichts der Auswirkungen von Adipositas auf die Pharmakokinetik und -dynamik stellt sich die Frage, ob eine Anpassung der Arzneimitteltherapie oder der Dosierung erforderlich ist. Die Antwort auf diese Frage ist jedoch komplex, da zahlreiche Variablen wie die physiochemischen Eigenschaften des Wirkstoffs, der Schweregrad der Adipositas und viele weitere Faktoren berücksichtigt werden müssen. Häufig fehlen spezifische Dosisempfehlungen für adipöse Patienten und Patientinnen in den Zulassungsinformationen (SmPC), es mangelt an aussagekräftige Studien in diesem Patientenkollektiv und allgemeine Empfehlungen sind kaum möglich.

Als Daumenregel für die Dosierung bei (adipösen) Kindern gilt (6, 10):
- die gewichtsbasierte (mg/kg) Dosierung sollte bei Kindern ≤ 40 kg erfolgen
- die gewichtsbasierte (mg/kg) Dosierung sollte bei > 40 kg erfolgen, jedoch die maximale Einzel-/Tagesdosis für Erwachsene nicht überschritten werden

Wirkstoffe, die nach TBW dosiert werden sollten sind z.B. Antibiotika (Amoxicillin, Cephalosporine, Clindamycin, Vancomycin (Spiegel bestimmen), Aminoglykoside (oder nach ABW, Spiegel bestimmen)) und Protonenpumpeninhibitoren (z.B. Pantoprazol). (5, 6)

Wirkstoffe mit einem geringen Verteilungsvolumen (Vd <5 L/kg) und einer kleinen therapeutischen Breite sollten bei adipösen Kindern eher nach dem idealen Körpergewicht (IBW) dosiert werden, um Überdosierungen zu vermeiden. (11) (Tabelle 1)

Beispiel: Morphin sollte aufgrund seiner hydrophilen Eigenschaften und des Risikos der Überdosierung nach IBW dosiert und titriert werden. (6, 11) Auch für Katecholamine wird aufgrund der hydrophilen Eigenschaften und geringer therapeutischer Breite die Dosierung nach IBW und eine Titration nach Wirksamkeit in der Literatur empfohlen. (11)

Wirkstoffe, die zwar ein geringes Verteilungsvolumen aber eine große therapeutische Breite aufweisen als auch bei Arzneistoffen mit großem Verteilungsvolumen (≥5 L/kg) und kleiner therapeutischer Breite kann eine Dosierung nach angepasstem Körpergewicht (ABW) angezeigt sein (11) (Tabelle 2).

Beispiel: Fentanyl sollte aufgrund seiner lipophilen Eigenschaften und der potentiell verringerten Clearance nach ABW (Kofaktor 0,25) initial dosiert und anschließend titriert werden (11).

Das individuelle Risiko einer Über- oder Unterbehandlung muss in jedem Fall berücksichtigt, bei Möglichkeit die Dosis titriert und Serumkonzentrationen bestimmt werden. [7, 8]

Tabelle 1: Auswahl an Wirkstoffen, die bei adipösen Kindern nach IBW dosiert werden sollten (kein Anspruch auf Vollständigkeit): (11-13)

Wirkstoffklasse Wirkstoff
Analgetika Acetylsalicylsäure (bei Langzeitanwendung)
Morphin
Anästhetika Dexmedetomidin
Ketamin
Lidocain (Erhaltungstherapie)
Antiasthmatika Theophyllin (Erhaltungstherapie)
Antiemetika Metoclopramid
Antihypertensiva Enalapril
Antiinfektiva Aciclovir
Voriconazol
Antikonvulsiva Benzodiazepine (Erhaltungstherapie)
Carbamazepin (Erhaltungstherapie)
Diuretika Furosemid
Mannitol
Elektrolyte Calciumcarbonat, -chlorid, -gluconat, Eisensulfat, Kaliumchlorid, Magnesiumsulfat, Natriumbicarbonat
Glucocorticoide Methylprednisolon
Herzglykoside Digoxin
Immunsuppressiva Ciclosporin
Katecholamine Dopamin, Norepinephrin, Adrenalin, Phenylephrin
Muskelrelaxanzien Atracurium
Baclofen
Vecuronium
Parasympatholytika Glycopyrronium
Proteine Albumin
Immunglobulin G (IVIG)
Sonstige Hydroxychloroquin
Ranitidin

Tabelle 2: Auswahl an Medikamenten, die bei adipösen Kindern nach ABW berechnet werden sollten (kein Anspruch auf Vollständigkeit) (11, 13):

Wirkstoffklasse Wirkstoff Korrekturfaktor (Adjustment Factor)
Analgetika Fentanyl
Hydromorphon
Methadon
Oxycodon
0,25
Ibuprofen
Paracetamol
0,35
Antibiotika Azithromycin (Erhaltungstherapie) 0,25
Amikacin
Gentamicin
0,4
Antikonvulsiva Carbamazepin (Initialdosis) 0,25
Levetiracetam 0,25
Antidote Protamin 0,4
Kontrastmittel Ioversol 0,25
Muskelrelaxanzien Cisatracurium 0,2
Pancuronium
Rocuronium
0,25
Parasympathomimetika Neostigmin 0,4
Supplemente Fettemulsion i.v. 0,25

Genauere Dosisberechnungen bei übergewichtigen/adipösen Kindern und Jugendlichen sind mithilfe der normalen Fettmasse (NFM) und dem medikamentenspezifischen Faktor fFett möglich. Da der Faktor allerdings für jeden Arzneistoff einzeln bestimmt werden muss, sind dafür zunächst weitere Studien notwendig. (14) Bis diese Daten verfügbar sind, ist die Dosisberechnung über das Idealgewicht oder das angepasste Körpergewicht in den meisten Fällen allerdings ausreichend. (12)

Dosisanpassungen bei Adipositas im Kinderformularium.DE
Enthält der Review von Ross et al. 2021 oder des britischen "National Health Service" (NHS) 2021 Informationen zu Dosisanpassungen bei Adipositas bei Kindern zu einem Wirkstoff, werden diese bei der Erstellung oder Überarbeitung einer Wirkstoffmonografie im Kinderformularium berücksichtigt. Einen Hinweis auf die Dosisanpassung bei adipösen Kindern ist dann unter dem Reiter "Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen" der jeweiligen Wirkstoffmonografie zu finden. 

Referenzen

  1. Schienkiewitz A, Brettschneider A-K, Damerow S, Rosario AS. Übergewicht und Adipositas im Kindes-und Jugendalter in Deutschland–Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. 2018.
  2. Kromeyer-Hauschild K, Moss A, Wabitsch M. Referenzwerte für den body-mass-Index für kinder, jugendliche und erwachsene in deutschland. Adipositas-Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie. 2015;9(03):123-7.
  3. Kromeyer-Hauschild K WM, Kunze D et al. Perzentile für den Body-mass-Index für das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben. Monatsschrift Kinderheilkunde. 2001;149:807–18.
  4. Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V [Available from: https://adipositas-gesellschaft.de/ueber-adipositas/definition-von-adipositas/.
  5. Gaeta F, Conti V, Pepe A, Vajro P, Filippelli A, Mandato C. Drug dosing in children with obesity: a narrative updated review. Ital J Pediatr. 2022;48(1):168.
  6. Matson KL, Horton ER, Capino AC. Medication Dosing for Children With Overweight and Obesity. J Pediatr Pharmacol Ther. 2024;29(5):550-3.
  7. Matson KL, Horton ER, Capino AC. Medication Dosage in Overweight and Obese Children. The Journal of Pediatric Pharmacology and Therapeutics. 2017;22(1):81-3.
  8. Xiong Y, Fukuda T, Knibbe CAJ, Vinks AA. Drug Dosing in Obese Children: Challenges and Evidence-Based Strategies. Pediatr Clin North Am. 2017;64(6):1417-38.
  9. Kendrick JG, Carr RR, Ensom MH. Pediatric Obesity: Pharmacokinetics and Implications for Drug Dosing. Clin Ther. 2015;37(9):1897-923.
  10. Neubert AS, C. Aspekte der Dosierung bei Kindern und Jugendlichen. Med Monatsschr Pharm. 2018;41(12):487-94.
  11. Ross EL, Heizer J, Mixon MA, Jorgensen J, Valdez CA, Czaja AS, et al. Development of recommendations for dosing of commonly prescribed medications in critically ill obese children. Am J Health Syst Pharm. 2015;72(7):542-56.
  12. Rascher W. Dosierung von Medikamenten bei adipösen Kindern. Monatszeitschrift Kinderheilkunde. 2017;165:725–6.
  13. Information UM. How should medicines be dosed in children who are obese? 2021.
  14. Anderson BJ, Holford NH. Getting the dose right for obese children. Arch Dis Child. 2017;102(1):54-5.

zuletzt aktualisiert am: 26.11.2025