Tretinoin - oral

Wirkstoff
Tretinoin - oral
Handelsname
Vesanoid®
ATC-Code
L01XX14

Zulassung
Dosierungsempfehlungen

Präparate
Pharmakodynamik und -kinetik
Nierenfunktionsstörungen
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Kontraindikationen
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Wechselwirkungen
Wirkstoffe der gleichen ATC-Klasse
Referenzen
Änderungsverzeichnis

Pharmakodynamik

Tretinoin ist ein natürlicher Metabolit von Retinol und gehört zur Klasse der Retinoide, die natürliche und synthetische Analoga umfasst.
Der Wirkungsmechanismus von Tretinoin bei akuter promyelozytischer Leukämie (APL) ist nicht vollständig bekannt und beruht vermutlich auf einer spezifischen Bindung von Tretinoin an einen nuklearen Retinsäure-Rezeptor (Retinoic Acid Receptor/RAR). Der nukleare Retinsäure-Rezeptor α (RARα) ist bei APL-Patienten durch Fusion mit einem als PML bezeichneten Protein verändert. Tretinoin in pharmakologischer Dosierung induziert den proteolytischen Abbau des für die APL charakteristischen PML/RARα Proteins. Bei Patienten mit APL hemmt Tretinoin in Kombination mit zytotoxischer Chemotherapie oder mit Arsentrioxid die Proliferation und induziert die Differenzierung von promyelozytischen Blasten. Mit solch einer kombinierten Behandlung können hohe Remissionsraten und niedrige Rezidivraten erreicht werden.

Pharmakokinetik bei Kindern

Es sind keine spezifischen Informationen für Kinder vorhanden.

Zulassung der Dosierungsempfehlungen

  • Akute Promyelozytenleukämie (APL)
    • oral
      • ≥1 Monat bis <18 Jahre: zugelassen*

*in Kombination mit Arsentrioxid oder Chemotherapie 

Auszug aus Fachinformation Auszug aus Fachinformation

Textauszug aus Fachinformation

Oral in Kombination mit Arsentrioxid oder Chemotherapie zur Behandlung der akuten Promyelozyten Leukämie (APL). Es können sowohl Patienten mit neu diagnostizierter APL, mit Rezidiv als auch Patienten, die refraktär gegenüber einer Chemotherapie sind, mit Tretinoin behandelt werden.

Kinder und Jugendliche:
Über die Verwendung von Tretinoin bei Kindern liegen derzeit nur limitierte Informationen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit vor. Für Kinder und Jugendliche ist die gleiche Behandlung wie bei Erwachsenen vorgesehen, wobei die optimale Tagesdosis für Kinder noch nicht abschließend bestimmt wurde. Bei Auftreten schwerer Nebenwirkungen, wie z.B. hartnäckige Kopfschmerzen, sollte eine Reduzierung der täglichen Dosis auf 25 mg/m2 in Betracht gezogen werden.

Dosierung:
In allen Therapiephasen wird eine Tagesdosis von 45 mg/m2 Körperoberfläche, aufgeteilt auf 2 gleiche Einzeldosen, für Erwachsene und ältere APL-Patienten empfohlen. Dies entspricht einer Dosis von ca. 8 Kapseln je Patient pro Tag (1 Kapsel enthält 10 mg Tretinoin).

Die Behandlung sollte bis zum Erreichen einer Vollremission oder bis zu maximal 90 Tagen fortgeführt werden.

[Ref.]

Präparate im Handel

Kapseln 10 mg

Allgemein

Das im Handel befindliche Präparat enthält Tretinoin in der Reinform. Der Wirkstoffgehalt bezieht sich demnach auf Tretinoin.

Präparat im Handel:

Präparat Darreichungsform Stärke als Tretinoin
Problematische Hilfsstoffe Anwendungshinweis
Vesanoid Weichkapseln 10 mg Sojaöl,
Sorbitol
Die Kapseln dürfen nicht zerkaut werden. Es wird empfohlen, die Kapseln mit einer Mahlzeit oder kurz danach einzunehmen.


Die Fachinformation wurde am 20.09.2021 aufgerufen.

Anwendungshinweise:

In der Literatur werden alternative Verabreichungswege (off-label) beschrieben. Diese können insbesondere für Kinder mit Schluckbeschwerden relevant sein:

  • Auflösen der Kapseln in warmer Milch. [Takahashi H, et al.]
  • Erweichen der Kapsel in warmem Wasser. Dann kann das Kind sie zerbeißen bzw. kauen. [Children’s Hospitals and Clinics of Minnesota]
  • Eröffnen der Kapseln in einem durchsichtigen Plastikbeutel und Vermischen des Medikaments mit einer kleinen Menge fettreicher Lebensmittel wie Eiscreme oder Erdnussbutter. [Children’s Hospitals and Clinics of Minnesota]
  • Wenn eine Ernährungssonde verwendet wird, kann die Kapsel in warmer Vollmilch erweicht werden. Punktieren oder schneiden Sie die Kapsel auf und überführen Sie den Kapselinhalt in die Milch. Ziehen Sie die Mischung in eine orale Spritze auf und verabreichen Sie den Spritzeninhalt über die Ernährungssonde. Spülen Sie die Sonde mit mindestens 30 ml Milch oder Sondenlösung. (Es gibt Berichte über niedrige Plasmaspiegel nach Verabreichung über eine Sonde.) [Children’s Hospitals and Clinics of Minnesota]
  • Herstellung einer Tretinoin-Aufschlämmung (mit einer Endkonzentration von 2,5 mg/ml) [Przybylski et al, 2021]

Cave: Tretinoin ist licht-, luft- und temperaturempfindlich, sodass eine sofortige Verabreichung nach Zubereitung nötig ist um Degradationsprozesse vorzubeugen. Zudem ist der Wirkstoff teratogen, sodass bestimmte Sicherheitsvorkehrungen im Umgang zu treffen sind.

Lieferengpässe/weitere praktische Informationen

Lieferengpässe für Humanarzneimittel in Deutschland (ohne Impfstoffe)

Dosierungsempfehlungen

Akute Promyelozytenleukämie (APL)
  • Oral
    • 1 Monat bis 18 Jahre
      [1]
      • 45 mg/m²/Tag in 2 Dosen.
      • Behandlungsdauer:

        Die Behandlung bis zur vollständigen Remission fortsetzen, jedoch max. 90 Tage.

      • Bei Kindern mit hartnäckigen Kopfschmerzen Senkung der Dosis (25 mg/m2/Tag) erwägen.

Nierenfunktionsstörungen bei Kindern > 3 Monate

Bei reduzierter Nierenfunktion bei Kindern 10-50 ml/min:
oral: 25 mg/m2 KOF pro Tag in 2 Dosen.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Kindern

Es gibt Berichte über eine erhöhte Toxizität bei Kindern unter einer Tretinoin Therapie, insbesondere ein gehäuftes Auftreten von Pseudotumor cerebri.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen allgemein

Sehr häufig (>10 %): verminderter Appetit, Verwirrtheit, Angstzustände, Depression, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, erhöhter intrakranieller Druck (Pseudotumor cerebri), Schwindel, Parästhesien, visuelle Störungen, Erkrankungen der Bindehaut, Hypoakusis, Arrythmien, Rötungen und Hitzegefühl, respiratorische Insuffizienz, trockene Nasenschleimhäute, Asthma, Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Abdominalschmerz, Diarrhoe, Obstipation, Pankreatitis, Cheilitis, Erythem, Ausschlag, Pruritus, Alopezie, Hyperhidrosis, Knochenschmerzen, Brustkorbschmerz, Schüttelfrost, Unwohlsein, Erhöhung der Serumwerte für Triglyceride, Kreatinin, Cholesterin, Transaminasen

Häufigkeit nicht bekannt: nekrotisierende Fasziitis, Thrombozytose, Leukozytose, Basophilie (mit oder ohne symptomatische Hyperhistaminämie), Hyperkalzämie, Schlaganfall, Myokardinfarkt, Arterienthrombose, Venenthrombose an verschiedenen Stellen (z.B. Schlaganfall, Myokardinfarkt, Niereninfarkt), Vaskulitis, Erythema nodosum, akute febrile neutrophile Dermatose (Sweet Syndrom), Myositis, Niereninfarkt, Ulzeration im Genitaltrakt, Erhöhung von Histaminwerten

Die vollständige Auflistung aller unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist den aktuellen Fachinformationen zu entnehmen.

Kontraindikationen allgemein

  • Stillzeit
  • Kombination mit Vitamin A, Tetrazyklinen, Retinoiden

Die vollständige Auflistung aller Kontraindikationen ist den aktuellen Fachinformationen zu entnehmen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen bei Kindern

Pseudotumor cerebri tritt bei pädiatrischen Patienten häufiger auf als bei Erwachsenen. Daten aus klinischen Studien zeigen, dass die Inzidenz von Pseudotumor cerebri reduziert ist, wenn eine niedrige Tretinoin-Dosis verwendet wird, ohne die Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Deshalb ist bei Kindern mit Toxizitätssymptomen wie hartnäckigen Kopfschmerzen eine Dosissenkung auf 25 mg/m2 zu erwägen.

In seltenen Fällen wurde über Depressionen oder über durch Depressionen verstärkte Angststörungen und über Stimmungsschwankungen unter der Einnahme oraler Retinoide berichtet. Besondere Aufmerksamkeit ist bei Patienten erforderlich, die in der Vergangenheit bereits unter Depressionen litten. [Rote-Hand-Brief]

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen allgemein

Beachte: Rote-Hand-Brief vom 03.09.2019 (Retinoide (Acitretin, Adapalen, Alitretinoin, Bexaroten, lsotretinoin, Tazaroten und Tretinoin) - Aktualisierungen zu Teratogenität und neuropsychiatrischen Erkrankungen): Für orales Tretinoin ist in der onkologischen Indikation ein Einsatz bei klinischer Dringlichkeit einer Therapie auch bei Schwangeren zulässig. In seltenen Fällen wurde über Depressionen oder über durch Depressionen verstärkte Angststörungen und über Stimmungsschwankungen unter der Einnahme oraler Retinoide berichtet.

Für allgemeingültige Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen informieren Sie sich bitte in den aktuellen Fachinformationen.

Wechselwirkungen

Tretinoin wird über die CYP-Enzyme CYP3A4 und CYP2C9 metabolisiert.

Interaktionspartner Grund Handlungsempfehlung
Vitamin A Additive Toxizität durch Hypervitaminose A. Kombination kontraindiziert.
Andere Retinoide, z.B. Isotretinoin, Acitretin
Tetrazykline Additive Erhöhung des intrakraniellen Drucks. Erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Pseudotumors cerebri.
CYP-Inhibitoren: CYP3A4, CYP2C9 Hemmung des Metabolismus von Tretinoin. Erhöhte Serumkonzentration und (stark) verstärkte Wirkung von Tretinoin möglich. Kombination vermeiden. Falls Kombination unvermeidbar, ggf. Dosis verringern und Monitoring auf Nebenwirkungen von Tretinoin.
CYP-Induktoren: CYP3A4, CYP2C9 Steigerung des Metabolismus von Tretinoin. Erniedrigte Serumkonzentration und (stark) verringerte Wirkung von Tretinoin möglich. Kombination vermeiden. Falls Kombination unvermeidbar, ggf. Dosis erhöhen und Monitoring auf ausreichende Wirkung von Tretinoin.
Antifibrinolytika, z.B. Tranexamsäure, Aminocapronsäure, Aprotinin Additiver thrombogener Effekt. Erhöhtes Thrombose-Risiko. Kombination vermeiden. Falls Kombination unvermeidbar, ggf. Dosis verringern und Monitoring auf Anzeichen einer Thrombose.


Die vollständige Auflistung aller Wechselwirkungen ist den aktuellen Fachinformationen und einschlägigen Wechselwirkungsdatenbanken zu entnehmen.

ANDERE ANTINEOPLASTISCHE MITTEL

In diesem Abschnitt werden Arzneistoffe der gleichen ATC-Klasse zum Vergleich aufgelistet. Arzneistoffe der gleichen ATC-Klasse sind nicht per se untereinander austauschbar. Die Aufzählung darf daher nicht uneingeschränkt als Therapiealternative verstanden werden.

Methylhydrazine

Procarbazin

Natulan®
L01XB01
Monoklonale Antikörper

Blinatumomab

Blincyto®
L01XC19
Proteinkinase-Inhibitoren

Dasatinib

Sprycel®
L01XE06

Imatinib

Glivec®, Imanivec®
L01XE01
Andere antineoplastische Mittel

Hydroxycarbamid

Siklos®, Xromi®
L01XX05

Irinotecan

Riboirino®, Onivyde®
L01XX19

Tisagenlecleucel

Kymriah®
L01XX71
Proteasom-Inhibitoren

Bortezomib

Velcade®
L01XG01

Referenzen

  1. Cheplapharm Arzneimittel GmbH, SmPC Vesanoid (RVG 20455) 16-05-2017
  2. CHEPLAPHARM Arzneimittel GmbH, SmPC Vesanoid 10 mg Weichkapseln (37868.00.00), 10/2018
  3. Takitani K et al., Low plasma level of all-trans retinoic acid after feeding tube administration for acute promyelocytic leukemia., Am J Hematol. , 05/2004 , 76(1):97-8
  4. Takahashi H, et al., High event-free survival rate with minimum-dose-anthracycline treatment in childhood acute promyelocytic leukaemia: a nationwide prospective study by the Japanese Paediatric Leukaemia/Lymphoma Study Group. , Br J Haematol. , 08/2016, 174(3):437-43.
  5. Children’s Hospitals and Clinics of Minnesota., Children’s Education Materials. Retinoic acid (for cancer therapy): tretinoin and isotretinoin. , Last reviewed 08/2015
  6. Przybylski DJ, Jared JR, Fallon MJ , Extemporaneous compounding and administration of tretinoin slurry for acute promyelocytic leukemia. , J Oncol Pharm Pract. , 01/2021

Änderungsverzeichnis

  • 10 Januar 2022 09:32: Neue Monographie

Therapeutisches Drug Monitoring (TDM)


Überdosierung